Das neue Blühen

Schrebergärten, Urban Gardening, Balkonien: Nie war Gärtnern beliebter als heute

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In Berlin gibt es nicht nur einen Ausländer-Beauftragten oder einen Datenschutz-Beauftragten. Ab diesem Frühjahr gibt es auch einen Urban-Gardening-Beauftragten. Zu dessen Aufgaben gehört laut Senatsbeschluss „die Integration neuer Formen der Freiraumnutzung im Bereich Urban Gardening“.

In Andernach ist man da weiter. Die Verwaltung der rheinland-pfälzischen Stadt stellt jedem, der es möchte, öffentliche Flächen für den Gartenbau zur Verfügung. Möhren in der städtischen Parkanlage? Bitteschön! Ein Tomatenbeet am Runden Turm? Nur zu! Das Konzept Andernachs nennt sich „Essbare Stadt“ und findet immer mehr Nachahmer*innen.

Im Januar hat das Netzwerk „Wuppertals Urbane Gärten“ einen Aktionsplan erstellt und beschlossen, wie Mittel aus dem Bürgerbudget verwendet werden sollen. Ein Projekt: Naschgärten an öffentlichen Plätzen. In Bergisch Gladbach bewilligte der Stadtrat 2.000 Euro, um in diesem Jahr Gartengeräte für das öffentliche Gärtnern anzuschaffen. Im Dortmunder Tremoniapark sind 220 Quadratmeter freigegeben, die zum öffentlichen Garten umgebaut werden sollen. Zuerst muss die Fläche noch entmüllt werden.

Nicht nur diese neue Form des Gärtnerns – gemeinschaftlich, ohne Besitz, ab und zu – ist schwer im Kommen, auch die Schrebergarten-Bewegung reüssiert. In einer Untersuchung hat die Hamburger Umweltbehörde festgestellt, dass es einen regelrechten Generationswechsel in der Kleingartenszene gibt: Es sind überwiegend nicht mehr die Senior*innen, die die Parzellen pachten, sondern zunehmend junge Familien. In München beträgt die Wartezeit auf den eigenen Garten bis zu drei Jahre.

Nürnberg plant 160 neue Kleingärten, das Potsdamer „Stadtentwicklungskonzept Kleingärten“ sieht 900 neue Parzellen bis zum Jahr 2030 vor. „Wir könnten noch 1.000 Parzellen mehr verpachten, so groß ist die Nachfrage“, sagt Alfred Lüthin, Chef des Bezirksverbandes der Gartenfreunde Karlsruhe. „Die Zeiten, als Kleingärten für Spießer*innen standen, sind vorbei.“

„Mit diesen Ideen wird dein Balkon zum Wohlfühl-Paradies“, titelte das Lifestyle-Magazin Cosmopolitan (von Kosmopolit, Weltbürger) im vergangenen Jahr. Im Nachrichtenmagazin Der Spiegel war zu lesen: „Ferien in Balkonien sind jetzt Trend.“ Was früher ein schnöder Austritt aus der Wohnung war, entwickelt sich immer mehr zu den hängenden Gärten einer Stadt.

Ob Schrebergarten, Balkonien oder auf dem Land: Die neue Lust am Blühen wird überall registriert. Im vergangenen Jahr setzten die Gartenmärkte mehr als 18,4 Milliarden Euro um, ein neuer Rekord. Mittlerweile stellen in Deutschland 11.000 Betriebe Erzeugnisse des Gartenbaus her, rund 715.000 Personen sind dort beschäftigt.

Auf der anderen Seite gibt es 15.000 Kleingartenvereine in Deutschland, die rund eine Million Gärten verwalten (so groß wie Köln). Rund fünf Millionen Gartenfreund*innen sind organisiert, und das sind nur die organisierten Gärtner*innen! Damit hat Deutschland die größte organisierte Gärtnerbewegung der Welt.

Allerdings ist die Welt des schönen, neuen Blühens auch bedroht. Vor allem in den westlichen Ballungsgebieten und den deutschen Großstädten insgesamt sorgt die Wohnraumnachfrage für einen gehörigen Druck auf die Grünflächen. In Berlin endet im Jahr 2019 für 160 Kleingartenanlagen die Schutzfrist. Die Laubenpieper fürchten nicht nur ihren Garten, sondern einen Teil ihres Lebens zu verlieren.

Andernorts fehlt der Nachwuchs. Plauen im Vogtland verfügt über mehr Schrebergärten als Stuttgart, hat aber nur zehn Prozent so viel Einwohner* innen.

Und dann sind da noch die Untaten, die manch Kleingärtner begeht. Schnecken-Tot, Unkraut-Ex oder Laubbläser: Die moderne Gartenindustrie hat viele Verlockungen hervor gebracht, die dem neuen Blühen eben nicht zuträglich sind, sondern den Boden vergiften, die Artenvielfalt gefährden und das Klima schädigen.

Die NATURFREUNDiN, das Mitgliedermagazin der NaturFreunde Deutschlands, hat sich umgehört und die neuesten Trends zusammengetragen: