Innenansichten aus der Kohlekommission

Was geschah in der finalen Sitzung? Kommissionsmitglied Kai Niebert erinnert sich

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28 Kommissionsmitglieder, vier Vorsitzende, fünf Bundesländer, fünf Ministerien, zehn Plenarsitzungen, drei Revierfahrten und 21 Stunden Verhandlungsmarathon in der finalen Sitzung: Das etwa ist die Arbeitsbilanz der Kohlekommission, die die Republik ein halbes Jahr lang in Atem hielt, um ein Konzept für einen sozialverträglichen Ausstieg aus der Kohleverstromung zu liefern.

Hier das Protokoll der finalen Sitzung am Freitag, dem 25. Januar 2019:

07:30 Uhr Aktivisten von Greenpeace und der IGBCE demonstrieren vor dem Ministerium.

08:00 Uhr Ronald Pofalla eröffnet die Sitzung. Das erste Mal seit Beginn im Sommer 2018 sind alle Mitglieder anwesend. Plus Ministerien und Bundesländer – insgesamt rund 140 Menschen. Die Umweltverbände waren übrigens vollzählig bei jeder einzelnen Sitzung anwesend.

08:30 Uhr Die Arbeitgeberverbände legen 37 Seiten Änderungsanträge vor – zu Punkten, die schon längst geeint sind. Liegt das daran, dass ihre Spitzenvertreter kaum anwesend waren?

12:00 Uhr Mittagspause. Gab es bei der ersten Sitzung noch Schlachteplatte – ein Schelm, der Böses denkt –, ist das Essen danach immer magerer geworden.

13:00 Uhr Die Gespräche mit den Ost-Ministerpräsidenten lassen Böses ahnen: Offensichtlich haben sie es versäumt, Vattenfall als ehemaligen Eigentümer der Kraftwerke in der Lausitz für den Rückbau des Tagebaus haftbar zu machen.

13:30 Uhr Während sich Arbeitgeber und Gewerkschaften über Nebensätze im Kommissionsbericht streiten, lese ich noch einmal quer und stelle fest, dass die Vorträge der 66 Experten, die die Kommission über drei Monate eingeladen hat, KEINEN Einfluss auf den Bericht hatten.

17:00 Uhr Das Plenum ist ab sofort beschäftigungslos. In Kleingruppen werden nun hinter verschlossenen Türen Kompromisse gesucht.

21:30 Uhr Die Vorsitzenden ziehen sich – unangekündigt – mit Gewerkschaftern, der Energiewirtschaft, dem BDI und zwei Umweltverbandsvertretern zurück. Zum ersten Mal seit Beginn der Arbeit wird über das Ausstiegsdatum aus der Kohleverstromung, das Sofortprogramm für 2020 und den Pfad bis 2030 diskutiert.

Die Kohlekommission empfiehlt
Bis zum Jahr 2022 sollen sieben Gigawatt fossile Kraftwerksleistung abgeschaltet werden, bis zum Jahr 2030 weitere sechs Gigawatt Braunkohle- sowie sieben Gigawatt Steinkohlekraft. Dann wären noch Kohlekraftwerke mit 17 Gigawatt Leistung am Netz, die bis spätestens zum Jahr 2038 schließen müssen. Allerdings soll im Jahr 2032 nochmals überprüft werden, ob das Ausstiegsdatum auf frühestens 2035 vorgezogen werden kann. Als Entschädigung sollen 40 Milliarden Euro an Strukturhilfen in die Kohle-Regionen fließen.
Nick Reimer

23:30 Uhr In der Verhandlungsgruppe wird es laut: Platzeck und Tillich, die eigentlich moderieren sollen, fühlen sich noch als Ministerpräsidenten, singen ein Loblied auf die Kohle und wollen nicht vor 2042 abschalten.

00:30 Uhr Die Verhandlungen hängen fest. Pofalla droht mit Abbruch, da bringen ausgerechnet der Bund der Energiewirtschaft und der Deutsche Naturschutzbund (DNR) noch einmal Bewegung ins Spiel.

02:30 Uhr Die zwei Umweltvertreter argumentieren gegen einen Block aus Gewerkschaften, Energiewirtschaft, Ost-Bundesländern und Vorsitzenden. Sie ringen für das Sofortprogramm die Abschaltung von circa einem Drittel der Kraftwerke ab. Nun wächst die Zustimmung bei den progressiven Kommissionsmitgliedern.

03:45 Uhr Die Umweltverbände zeigen sich zäh, bis sich die Verhandlungsgruppe auf den Kohleausstieg bis spätestens 2038 einigt. Die Umweltverbände stimmen zähneknirschend zu.

04:30 Uhr Das Plenum bekommt das Vermittlungsergebnis mitgeteilt. Eine Diskussion findet nicht statt. Stattdessen Erklärungen von BUND, DNR und Greenpeace, dass sie das Gesamtergebnis mittragen, aber ein Abschlussdatum 2030 für technisch möglich, klimaphysikalisch notwendig und sozial gestaltbar erachten.

04:44 Uhr Abstimmung. 27 Ja-Stimmen, eine Nein: Deutschland steigt aus Atom- und Kohlestrom aus! Höflicher Applaus. Aufbruchstimmung sieht anders aus.

Kai Niebert 
Präsident des Deutschen Naturschutzrings und stellvertretender Bundesvorsitzender der NaturFreunde Deutschlands