Zu der verqueren Debatte über die Energiepolitik und die Atomenergie in Deutschland erklärt Michael Müller, Bundesvorsitzender der NaturFreunde Deutschlands:
Wer – wie wir, die NaturFreunde – von Anfang an dabei war bei der Forderung nach einem Ausstieg aus der Atomenergie und seit Anfang der 1980er-Jahre auch die Idee der Energiewende intensiv begleitet hat, wundert sich nicht, wie die „grüne Technokratie“, die heute vorherrschend ist, so dramatisch scheitert. Die Wahrheit ist: Die Spitze der Grünen redet viel von Transformation und Energiewende, aber sie ist weit hinter dem zurück, was das bedeutet und wie die beiden Konzepte zu füllen sind. Das fällt heute nicht nur ihnen, sondern angesichts der fatalen Folgen allen Bürgerinnen und Bürgern dramatisch auf die Füße.
Jetzt, wo es um die Gestaltung der Transformation geht, zeigt sich, dass die Grünen kein Konzept haben. Sie greifen auf das zurück, was sie noch vor einem Jahr als Teufelszeug abgetan haben. Mir tun die Grünen und ihre Wählerinnen und Wähler leid, die sich aus ökologischer Überzeugung engagieren. Sie werden mit machtpolitischen Begründungen ruhiggestellt. Das mag der grünen Spitze helfen, nicht aber der Sache. Dem allen setzt die Eierei bei der Atomenergie die Krone auf.
Das Bundesumweltministerium wurde weitgehend entmachtet, der Klimaschutz ist dort auf den sicher wichtigen, aber für den Umbau nur begrenzt hilfreichen Naturschutz reduziert. Das Auswärtige Amt hat mit seiner Ideologie, den Interessen der USA gerecht zu werden, genug zu tun. Und der Klimaminister Habeck macht den Kotau vor dem Emir von Katar, akzeptiert Fracking-Gas und wird auch in der Frage der Atomenergie weich wie ein zerlaufender Käse. Das programmatische Defizit des grünen Koalitionspartners ist unübersehbar. Die Grünen reden zwar viel über Transformation, aber sie haben kein Konzept dafür.
Die Grundfrage der Transformation ist die Gestaltung der Marktprozesse, doch da wollen die Grünen nicht ran. Grüner Kapitalismus heißt ihre Linie, nicht sozial-ökologischer Umbau. Alles ist Transformation, aber die findet mit der Globalisierung der Märkte und der Digitalisierung der Welt längst statt. Nein, es geht um die Gestaltung der Prozesse durch die Politik. Verbote und Bevormundung sind etwas anderes.
Die Energiewende wird reduziert auf die erneuerbaren Energien. Das ist wichtig, aber reicht längst nicht aus. Die Frage, ob die Atomenergie einen Beitrag zum Klimaschutz leisten kann, ist auch vom Bundestag intensiv untersucht worden. Das Ergebnis war eindeutig: Nur wenn es zu einem Ausstieg kommt, werden Energiedienstleistungen, die Kernidee der beiden Konzepte zur Energiewende, möglich. Sie brauchen nämlich den Systemwechsel hin zu dezentralen und effizienten Systemen, die mit der Verbundwirtschaft der Nuklearindustrie nicht machbar sind.
Weil die Energiepolitik in den letzten Jahrzehnten nicht den zweiten Schwerpunkt auf die Mobilisierung der gewaltigen Einsparpotenziale gelegt hat, ist sie in dem heutigen Dilemma. Der für diese Fragen zuständige Staatssekretär Patrick Graichen hatte dafür in seinen Agora-Energiewende-Veröffentlichungen immer nur eine Fußnote übrig: Man müsse auch die Fragen der Effizienzrevolution beachten. Ja, warum wurde das nicht getan, zumal die Klima-Enquete des Deutschen Bundestages bereits 1990 aufgezeigt hat, was da alles möglich ist?
Jetzt haben wir den Salat, weil die drei Grundfragen der Energiewende – Erneuerbare Energien, Effizienzrevolution und Einsparen – nicht als Einheit gesehen werden. Die Einweihung eines Windparks liefert schöne Bilder. Doch die Energiewende kann erst im Verbund erfolgreich sein. Jetzt fällt unser Land zurück, weil die, die für den Klimaschutz verantwortlich sind, offenkundig überfordert sind. Die Bürgerinnen und Bürger müssen für die Unfähigkeit der Klimaverantwortlichen die Kosten tragen.