Wie Mitgliedergewinnung und -bindung zusammengedacht werden können
Auf dem 31. Bundeskongress der NaturFreunde beschlossen die Deligierten im Oktober 2021 eine Mitgliederoffensive: Bis 2025 will der Verband auf 100.000 Mitglieder wachsen. Die NaturFreunde-Referentin für Mitgliedergewinnung erklärt, wie das gelingen kann.
100.000 Mitglieder – der Plan ist ambitioniert. Wie er mit vereinten Kräften gelingen kann, zeigt das Modell der „Member Journey“. Es verbindet die Konzepte der Mitgliedergewinnung und der Mitgliederbindung miteinander.
Betrachtet werden dabei alle Interaktionen eines (Neu-) Mitglieds mit einem Verband – von der ersten Wahrnehmung bis zum Jubiläum nach langjähriger Zugehörigkeit. Das Ziel ist, möglichst positive, aufeinander abgestimmte Berührungspunkte mit dem Verband zu schaffen. Dies setzt voraus, dass wir unsere Zielgruppen, aber auch unsere eigenen Mitglieder mit ihren Wünschen und Bedürfnissen kennen und durch einen Perspektivwechsel darauf eingehen können. Daher sind alle Verbandsebenen gefragt.
Bislang wurden Mitgliedergewinnung und -bindung meist getrennt betrachtet. Beide Ansätze zu kombinieren ist jedoch notwendig, da in unserer individualisierten Gesellschaft die früher viel selbstverständlichere „lebenslange Mitgliedschaft“ zur Seltenheit geworden ist. Engagement findet immer häufiger abhängig von Lebensphasen statt. So verkürzen sich manche Mitgliedschaften auf ein paar aktive Jahre.
Ein Verband, der wachsen will, muss daher nicht nur neue Mitglieder gewinnen, sondern auch vorhandene Mitglieder halten. Letzteres ist eine Aufgabe, die alle NaturFreund*in- nen betrifft. Denn hier geht es nicht nur um den Verband, sondern auch um jede*n selbst, um eigene Wünsche und Anliegen.
NaturFreunde? Ein erstes Kennenlernen
Auf welche Weise kommen Menschen, die bislang noch gar nichts von den NaturFreunden gehört haben, erstmals mit uns in Kontakt? Um diese Frage geht es, wenn zunächst die breite Öffentlichkeit erreicht werden soll. Allgemeine Werbemaßnahmen oder breit gestreute Medienpräsenz können Interesse und Neugier erwecken. Es gibt viele Wege, auf die NaturFreunde aufmerksam zu machen. Infostände oder Demobeteiligungen mit Bannern und Fahnen sind ebenso öffentlichkeitswirksam wie klassische Pressearbeit, Plakate und Flyer. Stark unterschätzt wird weiterhin die Präsenz in den Sozialen Medien. Eine unserer Besonderheiten sind die Naturfreundehäuser: Hier kommen Menschen zu uns, teils ohne zu wissen, wer wir sind, was wir machen und – vor allem – dass sie mitmachen können. Das können wir zu unserem Vorteil nutzen, indem wir nicht nur den Aufenthalt möglichst angenehm gestalten, sondern dieses positive Erlebnis geschickt durch die Auslage von Flyern oder durch Mitmach-Aushänge ergänzen.
Hat jemand von den NaturFreunden erfahren und findet unsere Aktivitäten interessant, gilt es zu überzeugen. Dies geschieht durch sorgsam zugeschnittene Ansprache und Angebote. Spätestens jetzt sollte geklärt sein, welche Zielgruppe man für die eigene Gliederung gewinnen will. Sie sollte möglichst genau benannt und ihre Interessen und Neigungen untersucht werden.
Vor allem ist es wichtig herauszufinden, wo und wie diese Menschen angetroffen werden können. Der Blick auf die bestehende Mitgliederstruktur zeigt, wen man tatsächlich gewinnen kann: Wer hat ähnliche Interessen, wer könnte sich bei uns wohlfühlen? Hilfreiche Schlüsse lassen sich aus der Frage ziehen, wann die derzeitigen Mitglieder überzeugt waren, dass eine Mitgliedschaft für sie vorteilhaft sein würde.
Mit diesen Informationen lassen sich dann erfolgreiche Interaktionen gestalten. Dazu gehören heute insbesondere ein Newsletter, Social-Media-Kanäle und natürlich der Internetauftritt. Zudem natürlich Aktivitäten, an denen Interessierte unverbindlich teilnehmen können. Denn hier werden wir NaturFreunde für Außenstehende erfahrbar. Ein offener Stammtisch, eine Wanderung für alle oder ein Sportangebot auch für Nichtmitglieder machen das Vereinsleben erlebbar. Grundsätzlich gilt: Neue Mitglieder für die NaturFreunde zu gewinnen, funktioniert am besten im direkten Gespräch. Denn nichts wirkt so stark wie eine persönliche Empfehlung oder Einladung. Viele sind nur deshalb noch nicht NaturFreund*innen, weil sie noch nie gefragt wurden. Daher kann genau diese Frage der entscheidende Impuls bei der Mitgliedergewinnung sein.
Ist eine interessierte Person den NaturFreunden beigetreten, haben alle positiven Erfahrungen mit dem Verband eine bindende Wirkung. Dazu zählen auch vermeintliche Kleinigkeiten wie der Erhalt des Mitgliedsausweises oder die Einladung zum ersten Ortsgruppentreffen. Grundlegend ist eine herzliche Willkommenskultur, denn die ersten 90 Tage eines Mitglieds sind entscheidend. Ein „Pat*innenprogramm“ erfahrener Mitglieder kann das Ankommen erleichtern.
Mitgliedschaft: Eine Frage der Kultur
Grundsätzlich sollten individuelle Erwartungen und Bedürfnisse aller Mitglieder bekannt sein und beachtet werden. Eine solche Kultur entspricht nicht nur unseren naturfreundlichen Werten, sondern steigert auch durch die Anhäufung positiver Erfahrungen die Zufriedenheit Einzelner. Beispielsweise erleichtert eine Kinderbetreuung während Gremiensitzungen Eltern die Teilnahme. Offene Strukturen und mobile Kommunikationswege entsprechen eher der Lebenswelt junger Menschen. Dank und Würdigung von Einsatz trägt zur Anerkennung Engagierter bei.
Diese wertschätzende Kultur stärkt die Gemeinschaft der NaturFreunde – ein Gut, mit dem wir zusätzlich zu unseren vielen Themen und Angeboten punkten können und uns in der Kombination von anderen Verbänden abheben. Neben der Zufriedenheit ist für eine dauerhafte Identifikation und Bindung aber auch wesentlich, dass den Mitgliedern stets der Nutzen der eigenen Mitgliedschaft klar ist: sowohl die eigennützigen Vorteile als auch der idealistische Mehrwert – von beidem haben wir einiges zu bieten.
Menschen, die von den NaturFreunden überzeugt sind, sind die besten Werbeträger*innen, insbesondere wenn es ihnen leicht fällt, auf andere zuzugehen. Wenn jedes motivierte Mitglied sich als Botschafter*in versteht, liegt die Last, neue Mitglie- derzu gewinnen, nicht mehr alleine beim Vorstand oder einer Handvoll Engagierter, sondern wird von mehreren Schultern getragen.
Jedes Ende kann ein Anfang sein
Dass sich ein Mitglied entschließt, auszutreten, kann natürlich auch vorkommen. Die Gründe dafür sind vielfältig. Es ist wichtig, das Mitglied wertschätzend zu verabschieden und sich persönlich nach den Austrittsgründen zu erkundigen. Dabei geht es in erster Linie nicht darum, im Gespräch umzustimmen, sondern zu erfahren, wo Angebote verbessert werden können und wo Erwartungen nicht erfüllt wurden.
Entscheidend ist, dass dem ausgetretenen Mitglied weiterhin „die Tür geöffnet bleibt“, um zurückzukehren. Und es lohnt sich, auch nach einem Austritt in den unterschiedlichen Phasen des Lebens noch einmal bei einem ehemaligen Mitglied nachzufragen. Denn wer einmal von den NaturFreunden überzeugt war und aus persönlichen Gründen wie Berufseinstieg, Familiengründung oder Umzug ausgetreten ist, ist in einer anderen Lebensphase vielleicht wieder ansprechbar und hat in Zukunft Lust, eines von 100.000 Mitglieder zu werden.
Barbara Stocker
Referentin für Mitgliedergewinnung der NaturFreunde Deutschlands