Fast 39.000 Gäste in 39 Monaten

Wie die Pulverhäuser der Festung Königstein zu Naturfreundehäusern wurden

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Nur einige Grundsteine erinnern heute noch an den Ort, wo die Pirnaer NaturFreunde vor fast 100 Jahren eine soziale Heimat für Wander- und Kletterfreund*innen schufen. Dies ist die fast vergessene Geschichte der Naturfreundehäuser in den ehemaligen Pulverhäusern der sächsischen Festung Königstein.

Anfang Juni 1913 erschien in der Volkszeitung Pirna ein Aufruf zur Bildung einer NaturFreunde-Ortsgruppe, die bereits am 19. Juni als Ortsgruppe Pirna und Copitz gegründet werden konnte. Neun Interessenten waren anwesend, für Ende des Jahres sind bereits 45 Mitglieder dokumentiert.

Man beschloss gedruckte Mitteilungen herauszugeben und richtete mit gespendeten Büchern, Zeitschriften und Kartenmaterial eine Bibliothek ein. Neben wöchentlichen Wanderungen wurden Klettertouren ausgeschrieben, Lichtbildervorträge veranstaltet sowie benachbarte Ortsgruppen und Naturfreundehäuser besucht.

Die Festung Königstein wird NaturFreunde-Treffpunkt

In den Mitteilungen vom Juni 1921 wurde schließlich zur Teilnahme am NaturFreunde-Tag Sächsische Schweiz aufgerufen, der in der „Neuen Schenke“ unterhalb der Festung Königstein am linken Ufer der Elbe stattfinden sollte.

Vermutlich hatte die Ortsgruppenleitung zu dieser Zeit bereits die ehemaligen Pulverhäuser an der Festung als geeignete Unterkunftsmöglichkeiten ausgemacht. Hunderte NaturFreunde konnten so die Pulverhäuser aus unmittelbarer Nähe sehen.

Naturfreundehaus Königstein (S 9) mit 116 Betten: (035022) 994 80 ∙ info@familienoase-koenigstein.de ∙ www.S9.naturfreundehaus.de

Die Voraussetzungen für ein Häuserprojekt waren günstig: Die Sozialdemokraten waren in der sächsischen Regierung und setzten Bildungs- und Reformpläne um, die Reichswehr sah man kritisch. Der sächsische Innenminister und spätere Ministerpräsident Erich Zeigner (SPD) wollte ihren Einfluss beschränken, weil sie sich „zu einer Bedrohung der Republik entwickelt“.

Im Juni 1922 verkündeten die Mitteilungen dann: „Unterkunftsheim Königstein TVDN. Die ehemaligen Pulverhäuser am Königstein sind nunmehr gemietet worden. Ein neuer wichtiger Wanderstützpunkt ist somit für die Naturfreundebewegung geschaffen [...].“

Aus vier Pulverscheunen werden Naturfreundehäuser

Nach umfangreichen freiwilligen Arbeitseinsätzen wurden am 6. und 7. September 1924 die Pulverhäuser als NaturFreunde-Heime eingeweiht. Die NaturFreunde-Zeitschrift DER WANDERER berichtete im November 1924: „Unterhalb der Festung, auf herrlichem Gelände, das früher dem kulturvernichtenden Militarismus diente, liegen einzeln verstreut die ehemaligen Pulverscheunen, die jetzt besseren Zwecken dienen, indem sie Naturfreunden, die nach der Werktagsfron Erholung in der Natur suchen, als Unterkunft dienen.“

Die vier ehemaligen Pulverscheunen erhielten folgende Namen: Rohrauer-Haus (180 Plätze), Löns-Haus (106), Seume-Haus (14) und Frank- Haus (18). Der Ausbau erfolgte durch Spendensammlungen und den Verkauf von „Bausteinen“. Er wurde intensiv begleitet von den Fotogruppen sowie Berichten in der Arbeiterpresse.

Die Reichswehr kündigt den Mietvertrag

Allerdings wuchs der Einfluss der Reichswehr im Deutschen Reich wieder, die die Häuser für eigene Zwecke reklamierte. Ende 1925 wurde der Mietvertrag dann gekündigt, wie die Volkszeitung meldete: „Am 31. Dezember 1925 soll nun diese Kulturstätte, die das Unterkunftsheim wirklich ist, wieder verschwinden. Der Vertrag ist von der Militärbehörde gekündigt worden. [...] Alle Kräfte müssen mobilgemacht werden, um das Unterkunftsheim Königstein seinem jetzigen Zwecke zu erhalten.“

Trotz vieler Widerstände und öffentlicher Proteste mussten die Naturfreundehäuser im September 1926 geräumt werden. Innerhalb von 39 Monaten hatten hier 38.245 Mitglieder und Gäste, unter ihnen 8.729 Kinder und 11.244 Jugendliche, übernachtet.

Dank einer vorausschauenden Politik von sozialdemokratischen Stadträten in Königstein konnte den NaturFreunden jedoch ein Alternativobjekt am Fuße des Liliensteins rechts der Elbe angeboten werden – das heutige Naturfreundehaus Königstein.

Joachim Schindler

 

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