„Eine Antwort auf die Verstädterung der Welt“

Während das Urban Gardening immer hipper wird, klagen die Schrebergärtner

Früher war das ein schnödes Parkdeck eines Supermarktes in der Berliner Müllerstraße. Dann kam die „Stadt Guerilla“ und konstruierte Kasten-Beete. Ein erstes mit Erdbeerpflänzchen, ein zweites mit Kohlrabi, dann eine Wildblumenwiese und öffentliche Gemeinschaftsbeete. Heute ist das Parkplatzdeck eine „Himmelswiese“.

Der Trend kommt aus den USA: 1973 wurde in New York die erste „Green Guerilla“ gründet, die fortan leere Grundstücke der Metropole ins Visier nahm. Um diese zu begrünen. Boston, Baltimore, Philadelphia – schnell folgten andere Städte in den USA und es entstand eine Kultur gemeinschaftlichen Gärtnerns. Allein in New York soll es mittlerweile mehr als 1.000 Grünflächen geben, die die Guerilleros angelegt haben.

Gemeinsam einen grünen Neuanfang wagen

Auch in Deutschland gibt es diese Phänomen – besonders in der Hauptstadt. Die Buchautorin Elisabeth Meyer-Renschhausen bezeichnet Berlin gar als „die Frontstadt der Gemeinschaftsgärtnerei“, es gebe dort mittlerweile mehr als 60 Gemeinschaftsgärten und Projekte der urbanen Landwirtschaft. „Urban Gardening ist eine Antwort auf die Verstädterung der Welt“, sagt Meyer-Renschhausen. Städter suchten einen Ausgleich zum naturfeindlichen Alltag. „Urbane Landwirtschaft ist deshalb beliebt, weil die Menschen kein Vertrauen in die großen Entwürfe haben und sich deshalb wieder dem kleinteiligen Leben hingeben“, so die Soziologin. Beim urbanen Gärtnern ist der Ertrag nur zweitrangig, in erster Linie geht es darum, „gemeinsam“ mit anderen einen grünen Neuanfang zu wagen.

Das Land Berlin nutzt den hippen, weil US-importierten Stil zu Werbezwecken. „Nicht nur der dekorative Effekt und die Verbesserung des Mikroklimas sprechen für das Urban Gardening“, schreibt der Senat. „Derartige Projekte ermöglichen dem Großstädter das Verständnis für die Herkunft und den Anbau von Nahrungsmitteln.“

Das ist allerdings ein bisschen wohlfeil: Anders als in den USA sind deutsche Städte nämlich – dank der Bewegung der Schrebergärtner – oft grüne Oasen. In Berlin gibt es derzeit mehr als 67.000 Kleingärten auf über 3.000 Hektar Fläche. Das ist etwa so viel, wie der Landesbund für Vogelschutz in ganz Bayern besitzt. Und speziell in Berlin beklagen die Schrebergärtner mangelnde Unterstützung durch die Regierung.

Für die ist es offenbar einfacher, eine „Stadt Guerilla“ anzupreisen, als die Kolonien der Laubenpieper gegen Mietdruck und Vertreibung zu schützen. Für die Erweiterungsbauten der einst berüchtigten Neuköllner Rütlischule beispielsweise musste gleich eine ganze Garten-Kolonie weichen. Und für den Ausbau der A100 wurden weitere Parzellen planiert.

Nick Reimer
Dieser Artikel ist zuerst erschienen in NATURFREUNDiN 2-16.